Werries im Wandel der Jahrhunderte. Band 2

    

In dieser Zeit wagte der Rat der Gemeinde einen Schritt, der für damalige Zeiten einmalig war. Die Räte der Städte und Gemeinden sowie die Verwaltungen der Kommunen gingen davon aus, dass den Leuten dort nicht zu helfen sei. Man müsse sie ertragen wie die Mücken und die Wespen. Natürlich war dort viel Unordnung und menschliches Elend. Peterwagen, Fürsorgerin, Krankenwagen und Gerichtsvollzieher gaben einander die Klinken in die Hand.


Der Gemeinderat wagte es, das Viertel aufzulösen und abzureißen. Er übernahm für die Familien Mietgarantie, dass die neuen Vermieter beruhigt sein konnten. Der Gemeinderat brauchte bei fast allen für die Miete nicht einzutreten. Bei einer einzigen Familie klappte es nicht. Der Vater war selbst wie ein Kind und kaum erwerbsfähig. Die Frau kam einfach mit der ganzen Geschichte nicht klar.


Alle Familien waren froh, dass sie und ihre Kinder nicht mehr abgestempelt waren. Zum Teil änderte sich sofort der Lebensstil. Auch bei Alkoholkrankheit war nun besser zu helfen. Die das Umfeld nicht gewöhnt waren, passten sich sehr schnell an. Eine Frau erzählte mir, dass ihr Neffe ein paar Wochen nach der Umsiedlung zu ihr gekommen wäre und hätte gesagt: „Kannst du uns Gardinen nähen? Die anderen haben alle Gardinen. Da fallen wir bloß auf!“


Karl Koßmann war nicht Mitglied der Kirche. Der damalige Amtsdirektor und zwei Leute des Gemeinderates baten mich, eine Ansprache bei der Beerdigung zu halten. Ich sagte unter zwei Bedingungen zu. Ich dürfe keine Vorschriften erhalten, was ich zu sagen habe und ich könnte es nur ohne Amtstracht tun. Mit beidem waren sie einverstanden.


Es lag mir zu keiner Zeit, am Grab zu loben und das Leben des Verstorbenen zu werten. Gott, der Herr, wird das am Ende der Tage für uns alle tun. Bei dieser Beerdigung wollte ich es nicht anders halten, obwohl sehr viel Positives über Karl Koßmann hätte gesagt werden können. Das sollten die Politiker tun, die sich in großer Zahl mit vielen Einwohnern von Werries versammelt hatten. Karl Koßmann hatte in vielen Gremien des Landes, des Landkreises und seiner Partei mitgearbeitet. Ich sagte, dass wir eine sehr begrenzte Lebenszeit hätten. Gott, der uns Gaben und auch Macht anvertraut habe, wollte nicht, dass wir die Macht zu unserem Nutzen missbrauchten. Er wollte, dass wir sie einsetzten, um für die uns anvertrauten Menschen gute Lebensbedingungen zu schaffen und zu erhalten.


Am nächsten Tag war in der Zeitung zu lesen: „Nachdem auch Pfarrer Auge das Leben des verstorbene gewürdigt hatte, sprach...“Das hatte ich nicht getan!. Der Mann hatte entweder nicht zugehört oder nichts verstanden. Ich war


Es stand eine große Menge Menschen auf dem Friedhof; unter ihnen viele Politiker Ich sah in der Menge den Mann von der lokalen Zeitung mit Notizblock und Bleistift stehen.


Nach seinem Tod wurde dann Adalbert Morawietz, ein Bergmann, der später Arbeitsdirektor der Zeche Sachsen wurde, der letzte Werrieser Bürgermeister.


Im Gemeinderat hatte die SPD die Zweidrittelmehrheit. Sie wählte Adalbert Morawietz zum neuen Bürgermeister. Adalbert Morawietz war im Bergbau beschäftigt. Er begriff die Zeit, die anbrach besser, und saß voller politischem Gestaltungswillen.