Werries im Wandel der Jahrhunderte. Band 2

Ein älterer Mann hatte im Kleinbahnhof Maximilian Skat gespielt. Dabei hatte er einige Bierchen getrunken. Er war nicht betrunken. An der Ecke Ammerweg- Maximilianstrasse fiel damals die Böschung zum Entwässerungsgraben mehr als zwei Meter tief ab. Weiter am Ammerweg nach Westen hin wurde die Böschung wesentlich niedriger. Es hatte geschneit und es war recht glatt. An dieser Ecke rutschte der Mann aus und schlidderte in diesen Graben. Er versuchte die Böschung hochzukrabbeln. Er rutschte immer wieder zurück. Ein paar Meter weiter in Richtung Westen wäre er mühelos herausgekommen. In seiner Angst merkte er das wohl nicht. Seine Kräfte wurden bei jedem Versuch herauszukommen weniger. Einige Stunden später kamen zwei Männer vorbei. Er rief sie an. Die sagten, sie könnten ihm nicht helfen. Sie dürften den Bus zu ihrer Schicht nicht verpassen. Sie schellten aber immerhin bei einem Mann, der Telefon hatte. Der rief die Polizei an. Die Polizei schickte einen Streifenwagen. Die beiden Beamten fuhren die Strecke vom Alten Uentroper Weg bis zum alten Zechentor zweimal ab. Weil sie nicht ausstiegen, sahen sie den Mann nicht. Später am Morgen fand ihn ein Rentner, der dort spazieren ging erfroren.


Am nächsten Morgen saß ich im Büro. Irgendetwas war draußen nicht in Ordnung. Die sonst am Morgen üblichen Geräusche waren nicht zu hören. Stattdessen standen überall Menschen zusammen und unterhielten sich gedämpft. Bald hörte ich, was geschehen war.


Ich zitiere aus einem Extrablatt dieses Tages. „Auf allen Fördertürmen des Ruhrgebiets wehen die Fahnen wieder auf halbmast!


Nur wenige Wochen nach der Völklinger Bergwerks Katastrophe und nur kurz nach der großen Hamburger Todesflut erschütterte heute morgen erneut ein schweres Grubenunglück die Menschen des Reviers: Um 5.35 Uhr explodierten auf der vierten Sohle der Zeche Sachsen in Heessen bei Hamm schlagende Wetter. Bis zur Stunde konnten 28 Bergleute nur noch tot aus dem Unglücksstollen geborgen werden. Nach letzten Meldungen befinden sich noch zwei Verletzte im Schacht. Bergungstrupps fuhren sofort nach der Explosion ein. Sie konnten neun Verletzte ans Tageslicht bringen ......Nach vorläufigen Feststellungen sollen Sprengungen im Flöz 18 des Westfeldes in 1100 Meter Tiefe die Explosion ausgelöst haben. In drei Förderrevieren, die von der Explosion betroffen waren, arbeiteten zur Zeit des Unglücks 169 Mann der Nachtschicht. Die Morgenschicht stand kurz vor der Einfahrt in den Unglücksschacht.“


Vier Bergleute aus Werries gehörten zu den Opfern: Herbert Freund, Franz Hunke, Friedhelm Reck und Karl-Heinz Tapper. Drei von ihnen wohnten zu der Zeit in Werries. Sie ließen Frau und kleine Kinder zurück.


Der alte Mann, bei dem ich am Vortage war, meinte, eigentlich wäre er doch dran gewesen, und nun habe es den Verkehrten getroffen.


Es gab in diesem Zusammenhang noch etwas Ärger mit dem Direktor der Zeche. Es sollte in Heessen für alle betroffenen Männer eine zentrale Abschiedsfeier sein, zu der auch der Ministerpräsident des Landes NRW, Franz Meyer, kam. Danach sollten alle auf dem Heessener Friedhof beigesetzt werden. Im Gespräch mit den Angehörigen wurde klar, dass sie lieber die Gräber auf dem Werrieser Friedhof haben wollten. Wir setzten das durch.



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