Werries im Wandel der Jahrhunderte. Band 2

Es war von Anfangan klar,dass dieses Buch nicht in der Kirche liegen sollte. Der Krieg war nur 12 Jahre vorher zu Ende gegangen. Viele trauerten noch. Anders als die, ihre Angehörigen auf unserem Friedhof hatten, konnten sie vor keinem Grab ihre Blumen aufstellen. Sie sollten das nun vor diesem Buch tun können. Das taten Angehörige immer dann, wenn die betreffende Seite aufgeschlagen war.


Bald erschien der Platz vor dem Rundfenster im Vorflur der beste zusein. Dort störte er nicht beim Hineingehen oder Verlassen des Kirchraums. Dort konnten die Angehörigen ungestört ihre Blumen hinstellen und verweilen.


Das Rundfenster über dem Buch sollte neu gestaltet werden..Wir dachten an das Gesicht des Erlösers, als er die Dornenkrone trug. Er ist unser einziger Trost im Leben und im Sterben.

Wir suchten nach einem Künstler, der das schaffen konnte. Eine alte Frau in der Gemeinde wies uns auf Erich Lütkenhaus, in dessen Wohnung sie früher geputzt hatte. Erich Lütkenhaus sagte zu.


Ich hörte wochenlang nichts von ihm. Dann besuchte ich ihn. Auf dem Fußboden seines Ateliers lagen viele Blätter, mit nicht gegenständlichen Motiven bemalt. Ich fragte ihn, ob er denn schon angefangen habe, unser Fenster zu gestalten. Recht unglücklich zeigte er auf die vielen Blätter auf dem Fußboden. Das waren alles seine Versuche, Er kam damit nicht klar. Ich sagte ihm, er solle sich einen Menschen vorstellen, der von anderen zu Tode gequält wurde und ihm die Dornenkrone aufsetzen. Er sagte: „Na gut. Ich will es noch einmal versuchen. Das ist aber der letzte Versuch.“ Er lieferte einige Zeit später das Bild ab, das eine Glaserfirma später in das Rundfenster einsetzte. Übrigens, das recht geringe Honorar für seine Arbeit gab er der Frau, die uns auf ihn hingewiesen hatte. Sie hatte eine sehr kleine Rente, die zum Verhungern zu viel und zum Leben zu wenig war.


Als ich dann den fertigen Entwurf im Presbyterium vorstellte, war die Meinung recht unterschiedlich. Einer fand das Bild scheußlich, ein anderer machte sich lustig. Ich selber hatte keine entschiedene Meinung dazu. Eine knappe Mehrheit war dann dafür. So wurde es eingebaut. Die Reaktionen der Gemeindeglieder waren ähnlich gespalten wie im Presbyterium. Im Laufe der Jahre waren die meisten von uns froh, diesen Entwurf angenommen zu haben.


Am Volkstrauertag 1957 wurde die Gedenkstätte in einem Gottesdienst eingeweiht. Von da ab standen an jedem Sonntag frische Blumen vor dem Stein. Das wurde erst Ende der siebziger Jahre weniger und hörte dann ganz auf. Seit dem Krieg waren über dreißig Jahre vergangen. Viele der Angehörigen lagen inzwischen selber auf unserem Friedhof. Außerdem hört auch auf dem Friedhof die Grabpflege nach 25 – 30 Jahren auf.


Im Gottesdienst, in dem die Gedenkstätte eingeweiht wurde, wurden die Namen all derer, die darin eingetragen waren, vorgelesen. Nach dem Gottesdienst war eine ältere Frau empört, dass ihr gefallener Sohn nicht vorgelesen und eingetragen worden war. Ich fragte sie, ob sie denn den Zettel mit dem Namen ihres Sohnes vorher abgegeben hätte. Sie sagte: „Nein!“ Mir rutschte heraus: „Sagen Sie ehrlich; das konnte ich doch nicht riechen.“ Sie machte kehrt und von da ab war fast drei Jahre Sendepause. Später hat sie mir dann gesagt, die schnodderige Art, wie ich es gesagt hätte, habe sie so geärgert. Sie hatte sicher recht damit.


Schlüsselsystem einbauen. Irgendein, vermutlich alkohol- oder drogenabhängiger Mensch, zerschlug von außen das Rundfenster mit dem Dornen gekrönten Heiland. Er hatte ein Teil des Bleis der Verglasung gestohlen und vermutlich verhökert. Nach den Zeichnungen, die wir im Archiv aufbewahrt hatten, konnte die Firma Jeuschede das Fenster wieder neu verglasen



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