Werries im Wandel der Jahrhunderte. Band 2

Schon am l. August 1948 hatte die Kirchenleitung die dritte Pfarrstelle der Evangelischen Kirchengemeinde Mark errichtet. Zu diesem Bezirk gehörte das gesamte Gebiet der gleichnamigen Kommunalgemeinde. Ausgenommen wurden die damalige Brüningstrasse (heute Braamerstrasse zwischen den Kleinbahngleisen und der Geithebrücke, des Grenzweges und der Langen Reihe von der Einmündung des Weges “Am Maximilianpark" bis zu ihrem östlichen Ende. Diese Straßen blieben beim Pfarrbezirk Werries. Sie lagen direkt am Werrieser Siedlungsgebiet. Wer dort wohnte, fühlte sich als Werrieser. Die Wege zur Kirche, zur Schule, zu Geschäften und Kneipen waren nach Ostwennemar viel weiter als nach Werries. Außerdem lag die damals verwahrloste Industriebrache der ehemaligen Zeche Maximilian zwischen ihnen und Ostwennemar.


Wer von diesen Häusern zum Gottesdienst ging, der ging zur evangelischen bzw. zu katholischen Kirche in Werries. Fast alle meldeten ihre Kinder bei Bekannten oder Verwandten in Werries als dort wohnend an, damit sie in Werries zur Schule gehen konnten.


Es gab selbst bei Kleinigkeiten, die in Werries und Braam–Ostwennemar nötig wurden, lange Diskussionen, ob sie denn nötig seien; und wenn ja, ob sie nicht mit geringeren Kosten zu bewerkstelligen seien. Dinge, die in der Mark nötig wurden waren selbstverständlich nötig. Darüber brauchte man eigentlich nicht zu reden. Und auch die Kosten spielten in diesen Fällen keine so große Rolle. Es lassen sich Beispiele für die unterschiedlichen Blickwinkel nennen.


In den vielen Jahren waren die Kräfte des Pfarrers Judts in den Notzeiten sehr verschlissen. Er brauchte zunehmend Hilfe. In Treue besuchte er kranke und alte Menschen. Er ging seinen Pflichten nach, so gut er konnte. Es war ihm auch keine Amtsmüdigkeit anzumerken. Alle Ansprachen aber vor großer Öffentlichkeit wurden ihm zunehmend schwerer. Ebenso fiel ihm oft der kirchliche Unterricht recht schwer. Zu Trauungen und Taufen bestellte er am liebsten die Menschen in sein Arbeitszimmer. Dort fühlte er sich wegen seiner Zitterei sicherer. Noch mehr als früher waren ihm organisatorische Dinge zu erledigen unmöglich. Deshalb entsandte die Kirchenleitung nach langem Drängen des Marker Presbyteriums seit 1950 zu seiner Hilfe Vikare. Vikar Kochs und Vikar Müller eröffneten den Reigen. Der erste wurde nach seiner Ausbildung Pfarrer in Minden, der zweite in Enger, im Ravensberger Land. Dann folgte Gerhard Graf Fink von Finkenstein. Er gewann durch seine fröhliche, bescheidene Art und seinen Arbeitseifer viele Herzen. Von ihm wurden lange noch viele Geschichten in Werries erzählt.


Als er sich zum ersten Male bei Judts meldete und an der Tür stand, wollte Pfarrer Judt nach dem Portemonnaie greifen, weil er meinte, ein Landstreicher käme schnorren. Er war dann sehr erstaunt, dass der abgerissene, bescheidene junge Mann sein neuer Vikar und ein Mitglied des deutschen Hochadels war.


Am ersten Tage stand der junge Mann schon vor 6.00 Uhr in der Küche. Er fragte, wo die Kohleneimer und die Kohlen wären. Kollegen hatten ihm einen Bären aufgebunden, als sie sich mit ihm auf das Examen vorbereiten. Sie wussten, dass er leichtgläubig war und dass er ihnen das abnehmen würde.


Dazu kam, dass er in seinem Benehmen durch seine hochadlige Kinderstube geprägt war. Diese Erziehung gebot ihm manche Höflichkeit, die anderen Zeitgenossen fremd war.




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